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Roland Stelter in FELIX MÜLLER,

Arbeiten 2002–2006, Berlin 2006

Bad Religion ist eine kuratierte Ausstellung und ein Künstlerprojekt zugleich. Felix Müller hat sein unmittelbares Umfeld eingeladen – Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten er kennt und schätzt. Es ist ein lockerer Kreis von Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht nur als Einzelkämpfer im Kunstbetrieb behaupten wollen, sondern die auf der Grundlage von gegenseitiger Wertschätzung nach Gemeinschaft und Austausch suchen.

Die Zeichnung ist das zentrale Medium der Ausstellung. Bei vielen der präsentierten Arbeiten tritt dies unmittelbar deutlich vor Augen, bei manchen hingegen verbirgt sich die zeichnerische Ebene bisweilen. Die Ausstellung bietet ein breites Spektrum im Umgang mit dem Medium Zeichnung, das Verbindungen zu Malerei, Collage, Skulptur und Installation aufnimmt.Viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler sind Geschichtenerzähler. Ihr Blick macht sich an zufällig Aufgespürtem fest, kann aber ebenso sorgfältig Recherchiertes in den Fokus rücken. Neben dem Fabulierenden tritt auch das Repetitive in der Ausstellung auf: Einige der Teilnehmenden verfolgen einen seit langem eingeschlagenen Weg mit nahezu obsessiver Hartnäckigkeit und setzten immer wieder neu an. Im Gegensatz hierzu zeigt die Ausstellung aber auch Arbeiten, die in einer Zeit globaler Bedrohung durch ironische Kippmomente  Distanz und Leichtigkeit schaffen....

...Felix Müller bringt in seinen Arbeiten Zeichnung bzw. Malerei als hintereinander montierte Schichten zusammen. Eine Distanz zwischen Glas und Leinwand lässt hier Schatten entstehen – Unschärfen, die die extrem klar konturierten Figuren und Bildgegenstände konterkarieren. Anders als bei den bildlich so opulenten Arbeiten von Cornelia Renz sind Müllers Bilder allerdings sehr viel reduzierter. An Comics und Märchen orientiert, zeichnerisch knapp und oft fragmentarisch, deuten die Arbeiten auf rätselhafte Weise Geschichten an, ohne diese jemals auszuformulieren...

Dr. Claudia Beelitz, Berlin, 2017

Dr. Claudia Beelitz in BAD RELIGION,

Katalog, Galerie Alte Schule, 2017

Romantikschwerpunkt leichtfüßiges Reisen

 

Reisen: Künstler reisen, um den eigenen Bilderfundus, den Ideenpool, den Erfahrungsschatz zu begründen und zu erweitern. Um eine äußere Entsprechung für das innere Bedürfnis des Ausdrucks zu suchen und zu finden. Getrieben von Neugier, auf der stetigen Suche nach Spielzeug für die Künstlerseele. Im Idealfall finden sie unterwegs ihr persönliches Arkadien, einen Zufluchtsort für die eigene Ideenwelt. Das Unterwegssein, das Umherstreifen sucht seinen Niederschlag in einer pointierten Mischung aus Fülle und Leichtigkeit. 

 

Die Welt der Medien ist der große Gegenpol zur Reisetätigkeit. Durch sie reist nicht mehr der Suchende zu seinen Zielen, er sucht diese nur mehr und lässt sie zu sich reisen. Zeitungen kommen mit der Post in den heimischen Briefkasten, voller Geschichten, Berichte und Bilder. Und durch die Datenkabel dieser Welt strömen die Informationen und Eindrücke in unüberschaubarer Zahl auf den am Bildschirm suchenden herein. Das Reisen verliert an Beschwerlichkeit, leichtfüßig springt der Betrachter mit Fingerspitzengefühl von Welterlebnis zu Welterlebnis. Es ist ein inkohärentes Reisen, ein oberflächliches vielleicht, aber auch ein unbeschwertes: Ein kurzweiliges Spiel, eine

 

 

Obsession manchmal, aus der Summe aller Bildbegegnungen das Eigene, das Relevante herauszufiltern. 

 

Felix Müller ist ein Reisender. Seine Biographie ist geprägt von den tatsächlichen Reisen und Arbeitsaufenthalten unter anderem in Südamerika, in London, in New York, in den Schweizer Alpen, in Nordafrika und in Island. Seine Leidenschaft gilt der Begegnung mit dem Kuriosen, dem Monströsen und gleichzeitig der anbetungswürdigen Schönheit. Von überallher hat er selbst Bilder mitgebracht, greift er selbst zur Kamera, entstehen harmonische, durchkomponierte Fotografien von märchenhafter Lichtstimmung und einem Sinn für den richtigen Moment und das richtige Detail. Felix Müller ist aber auch ein Reisender der zeitgenössischen Bilderflut. Was ihm begegnet und ihn berührt, wird gesammelt, und das Fotoalbum dieser disparaten, zufälligen, zielstrebigen, hart-

näckigen oder beiläufigen Reisen ist ein Kaleidoskop des Schönen und des Monströsen. 

 

Auf diese Materialsammlung reagiert der Berliner Künstler, indem er seine Arbeitsweise der Leichtfüßigkeit der Fundreise entsprechen lässt. Die Bilder, die er sich auf seinen medialen Reisen angeeignet hat, erhalten durch ein trockenes Raster eine Ebenmäßigkeit, die die Kuriosität des Bildmotivs in die Fläche bettet. Und diese Fläche schickt Müller nun zu einem Treffen mit seiner Malerei, mit zweiten oder dritten Motiven, mit Farbstimmungen oder mit Linien seiner Handschrift. Das Arbeiten mit Ebenen und Layern, bereits in den Techniken der Malerei, der Installation und des Siebdrucks erforscht und aufgezeigt, findet zu einer noch befreiteren Form. Mit kluger Ironie und großem Gefühl schafft Felix Müller eine Partitur der erstaunlich weiten Welt von Karneval bis Waldarbeit, von Pornofilm bis Vogelzug – und erweckt eine in sich stimmige Bildwelt zu eigenständigem Leben. Er verehrt seit früher Jugend Karel Zeman, den legendären tschechischen Animationsfilm-Künstler, der mittels Filmcollagen die märchenhaftesten Szenarien aus Realem und Phantastischem entstehen lässt (vgl. Abb. 2).

 

Das Gesellschaftsspiel des Kunstbegriffs schiebt Müller für einen Augenblick beiseite, lässt den kurzlebigen Kosmos der Nachrichtenbilder einer scheinbar beliebigen, doch eigenen Ordnung folgen und behauptet Tiefsinniges ebenso wie Absurdes.  Das Raster, eine Referenz an die Pop Art ebenso wie an die zerlegten Tonwerte des Tageszeitungsdrucks und des Bildschirms, oszillieren zwischen Informationsbehauptung und Ornament.

 

Der Behauptung entgegen steht die Instabilität der Betrachtung: Liegt dort nicht noch ein anderes Bild zugrunde? Aus welchen Einzelbildern fügt sich die wahrgenommene Form zusammen? Was wird hier erzählt, und wo sind wir Zeugen eines Spiels? 

 

Wir sind im Übrigen überall Zeugen eines Spiels. Auch wenn die Motive eine erzählerische Basis mit einbringen, so war diese für die Auswahl und Anordnung der Bilder nicht ausschlaggebend, auch nicht für Motiv- und Farbkombinationen. Hier geht es Felix Müller um das reine Bilder-Machen, die Erschaffung einer sublimen Momentaufnahme von Idee, Farbe und Struktur. Seine Haltung bedient sich bei der Unbekümmertheit eines Sigmar Polke (vgl. Abb. 1) und dessen Kunstgriff, mittels eines Foto-Rasters ein beiläufiges Bild zu einer Spielwiese der Bezüge umzumünzen: Polke verweist mittels bewusst fehlerhaftem Raster auf die Medienfotos, lässt sein Bild gleichzeitig transparent schweben und zur reinen Struktur werden – Die »Freundinnen« beispielsweise sind ein Bild darüber, was ein Bild ist und nicht ist, und gleichzeitig einfach ein doppelter Akt. Müller treibt das Verweis- und Flächenspiel noch weiter und passiert dabei den freien Umgang Gerhard Richters mit jeglichem Bildmittel. Die Offenheit in Sachen Medien und Motiven findet für Müller einen Höhepunkt in Richters Rückzug auf die Farbflächen der Farbfächer, den Verzicht auf jeden malerischen Gestus und trotzdem des Erreichens des Endresultat: Malerei (vgl. Abb. 3). 

 

Müller nimmt also Zemansche Kuriositäten, Polkesche Gewitztheit und Richterschen Freigeist und macht sich mit diesem Gepäck auf eine weitere Reise: Eine epochale. Mögen sein Arbeitsort Greifswald, die Heimat Caspar-David-Friedrichs, mögen vielleicht das nahe gelegene Kloster Eldena oder die Ostseemotive von Rügen bis Boddenstrand mit den Jahren den Hauch verursacht haben, der nun durch seine Bilder weht: Ein Hauch Romantik. Nicht von ungefähr zieht sich auch das Motiv der stillen Wolkenlandschaften durch diese Werkgruppe. Eine weitergeführte Lust an Farbpanoramen und Lichtlandschaften. Eine Verbeugung des empfindsamen Künstlers vor der Urgewalt der Bildmöglichkeiten. Und wo Caspar David Friedrich seinen Mönch als Rückenfigur auftreten lässt, um die Anwesenheit des Betrachters bescheiden hinter das Spektakel dessen, was er wahrnimmt, zurücktreten zu lassen, so setzt Müller das Raster ein. Und lässt die Behauptung des jeweiligen Bildes zurücktreten vor dem reinen Eindruck der Farben und Formen (vgl. Abb. 4). 

 

Mit den Rastern hat eine vermeintliche Dunkelheit Einzug in das Werk Müllers gehalten. Doch dabei handelt es sich nicht um Schatten, sondern vielmehr um ein Zwielicht. In den Bildern von Felix Müller herrscht zur Zeit die Morgendämmerung – oder der letzte Abglanz des Tages. Wenn noch oder schon die Schatten lang sind, betrachten wir das Licht, das aufscheint, und auch das, was sich verabschiedet, mit besonderer Konzentration. Es ist besonders schön.

 

Julia Brodauf, Berlin 2014

Julia Brodauf in RASTER,

Katalog, artbux Verlag, 2014

Die ganze Welt durch‘s Schlüsselloch

 

Was ist nur los mit der Welt? Das ist die Frage, die aus der Bildersammlung Felix Müllers scheint. Da laufen erwachsene Männer in mitgenommenen Hasenkostümen herum, da hantieren blutjunge Mädchen mit großen Gewehren. Da ist die Kamera manches Mal viel zu nah dran an Haut, Haaren und Bein, und ein anderes Mal so weit weg, dass die Ursache des Rauchs nicht mehr zu erkennen ist.

 

Diese Frage der Verhältnismäßigkeit treibt Müller zeitlebens um, wie es der Berliner Schriftsteller Roland Stelter bereits 2005 beschrieb: »Sie bleibt für ihn untrennbar verbunden mit dem Bild der wohlproportionierten Platziertheit der vom Vater gesetzten Pflanzen. All seine später vorgenommenen Figurenarrangements zeugen von diesem naturbestimmten Harmoniegedanken der Proportion und der Furcht vor dessen Verlust, wie sie auch berichten von den mystischen Gestalten seiner Kinderwelt.«

 

Felix Müller sammelt Bilder, er liebt die Absurdität des Lebens, wo sie sich zeigt und begegnet ihr mit unendlicher Zärtlichkeit. Diese Zärtlichkeit hat viele Facetten, sie spricht aus der Detailverliebtheit, mit der in seinen Bildern die Ohren des Hasenkostüms eines kleinen Kindes gestaltet sind und verliert ihre Unschuld in der sichtbaren Freude, mit der ein praller Hintern ebenso vollkommen angelegt ist. Felix Müller hat ein umfangreiches Bildarchiv aufgebaut, das für sich steht. Es ist eine Medienauslese mit höchst persönlichem Blick, vergleichbar der intuitiven Sammeltätigkeit eines Hans Peter Feldmann etwa. Es ist eine private Phänomenologie der Wahrnehmung, ein Panoptikum absurder und poetischer Begegnungen. Eine große Gruppe dieser Bilder zählt flüchtige Eindrücke der Versprengten und Verqueren auf, zusammen gesehen ergibt dieses Bildpersonal einen merkwürdigen Kosmos aus Sex, Gewalt und Obsession – nicht umsonst verehrt Felix Müller den amerikanischen Zeichner Henri Darger (1892 – 1973), der an einer zeitlebens nicht enden könnenden, zwanghaft in ihm existierenden Geschichte arbeitete. 

 

Doch bei Müller bleiben diese Begebenheiten nicht ganz aus dieser Welt herausgelöst, er sieht und setzt stets Bezüge zur politischen Gegenwart und Geschichte und den Spuren ihrer Ereignisse, die ebenfalls zu Bildmaterial geworden sind. So gehören auch Aufnahmen eines privaten Autounfalls oder einer Guillotine zur Bildersammlung der Absonderlichkeiten. Sie sind auch das Testfeld, auf dem Müller seine Ideen entwickelt, auf dem Gedanken formuliert und wieder verworfen werden. 

 

Eine Art Thinktank, der Einblick in den Entstehungsprozess seiner Bilder gewährt, daneben jedoch auch Blätter hervorbringt, die für sich stehen, ohne direkte Entsprechung zu einem malerisch realisierten Werk. Sie dokumentiert, dass Müller wieder und wieder persönliches Neuland betritt, die Auseinandersetzung suchend, Grenzen überschreitend, Leidenschaften zulassend.

 

Diese Bildersammlung rastert Müller grob auf, was der Ästhetik ihres Fundortes entspricht: Ein grobes Punktraster steht für ein Zeitungsfoto. 

 

Durch die Gleichbehandlung bilden die Bilder ihre eigene Berichterstattung der Absurdität, bleiben gleichsam mit einer gewissen Kühle auf die Plätze verwiesen. Variabel untereinander kombiniert erzählen sie, genau wie die Mediengeschichte, die ewig gleiche Geschichte immer wieder neu. Felix Müller setzt bewusste Verweise auf düstere Kapitel deutscher Geschichte und setzt Schnitte in die Bildwelt, die er in der realen sieht: Das unterschwellig Bedrohliche, das existente wie das phantastische, das den vermeintlichen Frieden jederzeit durchbrechen kann. 

 

Die Bildersammlung bleibt trügerisch, was ihre Sujets anbelangt. Müller gibt ihnen Titel wie »Bismarck«, »Die heilige Mandy« oder »Kaaba Fit« und erweckt so den Eindruck, als ließen sich ihre Szenen dank der konkreten Figuren oder dem Bezug zur Geschichte entschlüsseln. 

 

Letztlich aber verweisen sie ähnlich wie das Mädchen mit dem hoch gereckten Arm in eine unbestimmte Zone, die der Künstler aus erinnerten und gefundenen Versatzstücken konstruiert. Für dieses Buch kombiniert Felix Müller die Bildersammlung mit seiner Malerei. Dadurch gewährt er ihr Zutritt zu seiner Bildwelt aus magischen Landschaften, tiefen Wäldern, zu seiner oft nebeligen Atmosphäre. Hier steht ein anderer Künstler Pate: Der wundervolle tschechische Regisseur Karel Zeman (1910 – 1989) schuf seinerzeit einen bestechenden Kosmos aus Märchenfiguren und realen Orten und setzte dafür eine opulente Kombination der verschiedensten Bildtechniken ein.

 

So begegnen sich auch im Bilderkosmos von Felix Müller die unterschiedlichsten Techniken der Malerei und Drucktechnik. Für die handelnden Figuren seiner Gemälde verwendet Felix Müller oft Siebdruck und des Foliencut, gerne auch in Kombination. Die Menschen und Tiere, die er für seine Gemälde auf Leinwand und Papier bestimmt hat, werden präzise angelegt, erhalten eine klar definierte Kontur. Als erfahrener Zeichner ringt Müller in präzisen grafischen Entscheidungen intensiv um die Form seiner Figuren und verdichtet so deren Charakterzüge zum Ikonenhaften. Sie stechen so mit großer Klarheit aus dem malerischen Kosmos hervor.

 

Der Berliner Kurator Peter Lang schrieb 2006 über diese Malerei: »Eine an Leichtigkeit grenzende Grundtendenz der Malerei durchzieht die Bilder.Das Arrangement der Bildfiguren, die fiktiven Geschichten die da erzählt werden, neigen dagegen zum Desaster. (…) «

Manchmal ist man an die Stimmungen der in Sepiatönen gehaltenen Zeichnungen Herkules Seghers erinnert. Die Lineatur der Figuren erinnert dagegen mehr an zeichnerische Reduktionen der Zeichensprache, wie sie bei Julian Opie auf die Spitze getrieben werden. Daneben sind Comics als ästhetische Erfahrungswelt bei vielen jungen ostdeutschen Malern frühe Grundlage ihrer Bilderfahrungen. Im Osten war das der Ausnahme-Comic »Das Mosaik« (1956 – 1976). Müller nennt als Einflüsse noch die außergewöhnlichen, teils skurrilen Bildgeschichten von Rodolphe Töpffer (1799 – 1846) und die Storys von »Little Nemo in Slumberland« von Winsor McCay (1871 – 1934).«

 

Nach wie vor spielen Müllers Szenerien gerne im Wald: Die freie Natur, der deutsche Wald als Ort der Romantik und des Grauens. Es ist stets seine bsicht, Traditionen zu kennen und pflegen und doch Erwartungen zu brechen. Er spielt mit einem reichen Repertoire an Bezügen und Geschichten. Seit Jahren weist ein Mädchen mit der linken Hand unbestimmt in die Ferne. In die Ferne, die aus der vielschichtigen Malerei entsteht, da öffnet sich ein farbiger Kosmos mit Wolken und Wasser, Hügeln und seltsamen Explosionen. Starre Linien treffen auf sensible Schraffuren, bewegte Flächen oder gewischte Stellen. 

Es ist das künstlerische Wunderland eines manischen Beobachters, eines versierten Malers und eines belustigten Zynikers, der an Märchen glaubt. Besonders an solche, in denen die bösen Feen am Ende noch den Notausgang gefunden haben.

 

Julia Brodauf, Berlin 2012

Julia Brodauf in PAINTBALL,

Katalog, artbux Verlag, 2013

BILDER, RÄUME & FASSADEN

 

»...in den Bildern bist Du gewandelt, geschmückt mit allem Kolorit, mit dunkelrot, violett, silber, türkis, schwarz, mit saphirblau, malachit- und smaragdgrün... Nun stürzt Du aus den Spiegeln, nun stürzt Du von den Bergen, nun stürzt Du zu Boden.«

 

Dieser Textausschnitt stammt aus der Videoinstallation „Götterbericht (2009)" - mit dröhnender Stimme wendet sich der Sprecher aus dem Monitor heraus an einen fallenden Hasen, der, fast unsichtbar, als weiße Plexiglasfigur gegenüber vor einer Wand schwebt. Der Hase, ein frecher, sinnlicher Geselle, war eben noch in den Bildern von Felix Müller zu Hause, nun ist er aus dem Rahmen gefallen und befindet sich kopfüber im freien Fall.

Der Berliner Künstler erlaubt seinem Bildpersonal immer wieder, die klassische Bildebene zu verlassen. Schon innerhalb seiner Malerei hält es die Figuren nicht immer auf der Leinwand: Die besondere Technik von Felix Müller beinhaltet, dass Teile seines Bildes als farbiger Foliencut auf Glas ein ganzes Stück vor der bemalten Leinwand schweben. Mit dieser Vorgehensweise wird der Bildraum erweitert, dürfen Licht, Schatten und Perspektive eine lebendige Rolle in den Bildern einnehmen.

Seine Bildsprache macht es möglich. Menschen, Tiere und Bäume werden in Müllers Bildwelt zu Figurinen reduziert und damit in einzelne Ebenen gebannt. Im nächsten Schritt werden die einzelnen Layer überlagert, ergänzen sich malerisch und inhaltlich, und stoßen sich doch, wie Magneten, immer wieder ab. Egal, ob die Ebenen als Siebdruck oder Zeichnung vor den malerischen Hintergrund gesetzt werden oder als Foliencut vor die Bildfläche, das Gesamtbild ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Layer.

 

Konsequenterweise erweitert Müller seinen Bildraum nicht nur bis zum Rahmen, sondern nutzt für seine Bilder auch Wände und Fußböden. Die Figuren und Bilder, einmal vom Bildformat befreit, wachsen bis zu überdimensionaler Größe heran und nehmen den Raum komplett in Besitz.

 

Es sind juvenile Dämonen, die Felix Müller durch seine gemalten Wälder scheucht - geisterhaft durchsichtige Mädchen, Kinderbuchfiguren, und auch die Gebrüder Grimm können nicht weit sein - allerdings wäre ihr böser Wolf ein zu gradliniger Geselle, Felix Müller denkt eher wie Carrolls Alice oder jemand in den verwunschen Märchen Hauffs. Die Handlungen der Protagonisten sind rätselhaft bis düster und verweisen auch auf vergangene und gegenwärtige Kapitel der Weltgeschichte. Die Bildtitel unterstreichen dies. Titel wie »Bunkerhase« oder »Hackordnung« benennen das abseitige, kriegerische Geschehen im Märchenwald.

Wenn stilisierte Stämme die Senkrechte betonen, tun sich emotionale Untiefen auf. Nicht nur, dass regelrecht schwarze Löcher gähnen, nein, hier fletschen schaurige Hasen die Zähne und schwingen leicht bekleidete junge Damen die Äxte - das ganze gehalten in gedeckten Tönen mit bonbonfarbenen Akzenten. Dies alles wächst und wuchert bis in den Raum hinein. Das, was erzählerisch ins Bild gesetzt wurde, kehrt daraus zurück und fordert seinen Platz in der dreidimensionalen Welt. Und schon ist der Betrachter mittendrin im Bildgeschehen.

 

Dort, wo das Geschehen konkret mit historischen Ereignissen zu tun hat, bedient sich Felix Müller der Typografie. Auch hier setzt er das Gemeinte aus einzelnen, erzählten Bildern zusammen und lässt das große Ganze aus der Überlagerung entstehen. Im Fall des Kunstprojekts »Leben an der Schönhauser Allee«, einem Gemeinschaftswerk mit Julia Brodauf, muss der Betrachter das gesamte Anwesen bis in den Keller hinein durchwandern, bis er alle Ebenen des Erzählten zusammenfügen kann. Gleichzeitig befindet er sich mittendrin im Gemeinten, in dem Gebäude nämlich, um das die Erzählung kreist.

Julia Brodauf, 2011

Julia Brodauf in RAUM!,

Katalog, artbux Verlag, 2011

Bilder von Wäldern und Bäumen - Kunst aus zwei Jahrhunderten

 

Der Maler Felix Müller entwickelt seine Schönheits-Option unter Berufung auf die populäre Bildsprache von Comics und nutzt deren groteske, oft paradoxe Zuspitzungsart für seine Bilder vom Wlald, die den Mythos herausfordern, auf geradezu rabiate Weise in ihn einzubrechen, sodass er nunmehr in quasi negativer Form durch das großspurig Unbekümmerte der Darstellungen hindurchschimmert. Müller, der in Berlin und Greifswald lebt, hat ein enges Verhältnis zum Rügener Wald. In einer Arbeit wie „Erntedank“ kehrt das Motiv der abgeschlagenen Stämme wieder, scheinbar losgelöst vom Krisenbezug, der sich umso stärker unterschwellig, als nicht passender Ton einer erotisch verbrämten Werbebotschaft mitteilt.

 

Dr. Katrin Arrieta, 2011

Dr. Katrin Arrieta in KUNDE VOM WALD

Kunst aus zwei Jahrhunderten, Ausstellungskatalog, 2011

21. 03.2011 –  Juli 2011 – Jagdschloss Granitz
01. 08.2011  – Oktober Marstall Schwerin

Träger des Projektes sind das Kultusministerium des Landes MV, die Landesforschungsanstalt, die Jost-Reinhard-Stifung, und der Museumsverband MV.
Leihgeber: Staatliche Museum Schwerin, Pommersche Landesmuseum, Kulturhistorisches Museum Rostock, Stiftung des Kunstmuseum Ahrenshoop. Förderkreis Ahrenshoop, Kunstmuseum Schwaan, private Leihgaben.

Was mir heilig ist ...



Bunte Quadrate, Ikonen der Gegenwart und der Zeitgenossenschaft. Im Werk von Felix Müller haben seine Siebdruck-Arbeiten eine zentrale Rolle eingenommen: Die kleine Form nimmt alle Spielarten seines Bildvokabulars auf. Die Mischtechniken im Format 30 x 30 cm sind weit mehr als eine unbeschwerte Probebühne für Arbeiten, die als Wandrelief oder große Leinwand zur Behauptung anschwellen. In der Intimität des kleinen Formats entwickelt Felix Müller eine eigene, aus seinen Erfahrungen, Hoffnungen, Leidenschaften und auch trockener Ironie gewachsene Poesie. Aus der Kombination der großzügig gemalten Hintergründe und der Farbvarianten des Druckes entstehen fein nuancierte Versionen der einzelnen Themen: Jedes Werk dieser Serien ist ein Unikat. 

Wald und Flur (2007), Neue Heimat (2008), Heilige (2009): Diese Bildserien werden bevölkert von einer Gesellschaft, die genauso vielschichtig ist, wie die künstlerische Technik, aus der Felix Müller sie wachsen lässt. In den Überblendungen  und Überlagerungen von Landschaften, Wolken, Horizonten, Häusern und Protagonisten liegt der unmittelbare Bezug verschlüsselt und verdichtet sich oft zu einer sehr persönlichen Geschichte. Die Märchen und der Krieg, die Tiere und die Menschen, die Historie und die Mode, der pralle Sex und der feine Witz, dies alles tritt in Müllers persönlichem Kosmos auf und vereint sich zu einer Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Zustands: Kommentiert wird durchaus provozierend, nicht zuletzt in den Bildtiteln. Doch in jedem Augenzwinkern wohnt auch die Zärtlichkeit.

Heiligkeit wird allerorten dann besonders wichtig, wenn die Welt nicht heil ist. Für Goethes fehdereichen Götz von Berlichingen ist die Ritterpflicht heilig, für seinen stürmischen Werther der Ruhepol, in dem die Seele aufatmet. Felix Müller kennt eben diese Zwiespältigkeit des erhabenen Gefühls: Den kriegerischen Treueschwur und die sanfte Verzückung, die sich im Heiligenbild vereinen. Auch in der Bildwelt des Künstlers begegnen sich oft die Gegensätze: Das Fernweh dem Flüchtling, der Höllenhund dem Doggystyle, der Desperado dem Versorger. Doch in der farbigen Landschaft aus Gouache und Acryl führen die Widersprüchlichkeiten des Lebens eine fröhliche Koexistenz. Und genauso verhält sich Müller zu seinen Heiligkeiten: Seine ehrliche Verehrung ist längst kein Grund für einen Kniefall. Vielmehr einer für eine Brechung des Pathos per Berlinischem Mutterwitz.

Die künstlerische Bestandsaufnahme der Dinge, die Müller heilig sind, setzt er durch eine genaue Formulierung um. Als erfahrener Zeichner ringt er in präzisen grafischen Entscheidungen intensiv um die Form seiner Figuren und verdichtet so deren Charakterzüge zum Ikonenhaften. Im Gegenzug zur fest umrissenen Statik der Figuren steht die Vergänglichkeit des Mediums: Das beschichtete Sieb ist bald wieder ausgewaschen. Auf dem Siebdrucktisch entspannt sich ein einsames Drama um das Gelingen des Bildes: Sieb und Fond begegnen sich in einem zerbrechlichen Moment, der über das Gelingen entscheidet. Die sorgsam erarbeiteten Figurinen sind höchst verletzlich. So ist das nun mal mit Dingen, die heilig sind.

 

Julia Brodauf, Berlin, 2009

Julia Brodauf in WAS MIR HEILIG IST,

Katalog, artbux Verlag, 2009

Schneeweiß und Rosenrot



Felix Müller widmet sich dem Schönen, dem ewig Unerreichbaren, der Unvergänglichkeit der ewigen Begierden. Enden tut alles in Verhängnis und Katastrophen. Grimmsche Märchen stehen nah am Rand. Der Fliegenpilz ist angefressen und hinter dem schönen Schein lauern die Würmer.

Die aalglatt gemalte und ausgeleuchtete schöne neue Jugend Norbert Biskys, Maik Wolfs am Rechner konstruierten Landschaften der kleinen Ängste fallen einem in Berlin ein, wenn man an eine außerhalb der Leipziger und Dresdener Schule sich positionierende Berliner Malerei denkt. Eine an Leichtigkeit grenzende Grundtendenz der Malerei durchzieht die Bilder. Das Arrangement der Bildfiguren, die fiktiven Geschichten die da erzählt werden, neigen dagegen zum Desaster. Gemeinsam ist allen eine Unterkühlung, die teilweise bis in den Eisschrank reicht. Auch bei Felix Müller stellt sich unterkühlte Distanz ein. Seine Hintergründe wirken allerdings wärmer, wie romantische Bühnenprospekte. Manchmal ist man an die Stimmungen der in Sepiatönen gehaltenen Zeichnungen Herkules Seghers erinnert. Die Lineatur der Figuren erinnert dagegen mehr an zeichnerische Reduktionen der Zeichensprache, wie sie bei Julian Opie auf die Spitze getrieben werden. Daneben sind Comics als ästhetische Erfahrungswelt bei vielen jungen ostdeutschen Malern frühe Grundlage ihrer Bilderfahrungen. Im Osten war das der Ausnahme-Comic „Das Mosaik“ (1956-1976). Müller nennt als Einflüsse noch die außergewöhnlichen, teils skurrilen Bildgeschichten von Rodolphe Töpffer (1799-1846) und die Storys von „Little Nemo in Slumberland“ von Winsor McCay (1871-1934). Beides eher anarchistische Gesellschaftskritiken als lustige Bildergeschichten. Die Autoren halten in fantastisch gezeichneten Bildwelten der Polis den Zerrspiegel vor.

Felix Müller arbeitet bei seinen aktuellen Werken strategisch mit technischen Hilfsmitteln. Durch den Einsatz von geplotteten Bildmotiven auf Acryl, die er vor den gemalten Hintergründen wie Schablonen montiert, geht dem Betrachter der gefühlte Zugang zur Malerei verloren, bzw. stellt sich zumindest die gewünschte Distanz zur Peinteure ein. Damit benutzt Müller ein Mittel der Werbeindustrie auf andere Art und Weise. Dort ist die glatte, kühle Oberfläche, Unvergänglichkeit verheißend, das gewünschte Ziel. Die zeitgenössischen Pinup Girls haben mit Hilfe der Möglichkeiten der Bildbearbeitungsprogramme der Computer alles Vergängliche in ihrer Oberflächenerscheinung verloren. Sie sind nahezu ununterscheidbar austauschbar. Man würde das Titelgirl der Hochglanz-Werbeträger, immer noch Magazine genannt, obwohl es doch nur Träger der Annoncen sind, nicht mehr am nächsten Tag an der Bushaltestelle erkennen.

Müller sinnt auf anderes. Er möchte dem Verliebtsein in die Bildmotive entgegenwirken. Man könnte sonst mit der Nase zwischen die Pohälften rutschen. Das wäre unschön. Daher sind die Acrylflächen zwischen den Betrachter und den Hintergrund geschaltet. Der Voyeur darf sich spiegeln, sich darin erkennen, er wird aber abgekühlt. Ein Kontrastprogramm zwischen Bildhintergrund und Figuration im Bildvordergrund zieht sich durch die Arbeiten. Der Betrachter könnte sich darin verlieren.

Das könnte man auch das Moderne an den Bildern Müllers nennen. Aufgrund seiner Erfahrungen und seiner Arbeiten für die Werbeindustrie, sieht er die Unterschiede und stellt sie heraus. Das Bild ist nicht mehr das schön gemalte Etwas, das verheißt, der Maler habe gerade noch ein allgemein attraktives Motiv gefunden. Es manierlich abgemalt und dann den Käufer mit seiner Peinteure, der des 19. Jahrhunderts, beglückt. Zu den Leipziger Malern sagte ein Kritiker, man hofft, daß endlich mal jemand das Licht anschaltet und den ganzen Muff der häuslichen Melancholie aus dem Raum bläst. Da sind die neuen Berliner Maler ein Stück weiter. Es zieht mehr in ihren Bildern als das es wärmelt.

Auch Müller setzt auf den Kontrast zwischen begehrenswertem Gegenstand und dem unsäglichen Gefühl, beim Handanlegen erwischt zu werden. So malt er ständig das unerreichbare der weiblichen Sexualität, das Verheißen des ewig lockenden Lolitamotivs und läßt die Männer in selbstdarstellerischer Attitüde gegen die Wand laufen. Das ewige Girlie bricht die Blume, mit Goethe könnte man sagen: pflückt das Heideröslein. Der beständig vor sich hin alternde Mann hat nichts weiter als das Reh zum Trost zur Hand. Sublimierung der Triebe könnte man sagen, wäre es nicht doch hintergründig schwarz und gemein. Die ständig vorhandene Sucht spiegelt sich auch in den die Bilder füllenden Pilzgärten. Die pflanzlichen Phallen bevölkern die Wälder, in denen sich das deplazierte Stadtgirlie verirrt hat. Fast könnte man sagen, Müller hat die Lolitas in den Wald hineingeworfen, sollen sie mal sehen, wie sie da zu Recht kommen. Sie kommen zurecht, da sie keine Hemmschwellen haben. Da wird skrupellos mit einem Hieb der alte Baum gefällt und das Hinterteil aufreizend dem Begehrenden dargeboten. Du bekommst mich nicht und wenn, zeige ich Dir den Weg zum Verhängnis. Hinter der nächsten Lichtung lauert der Tod. Wie in jedem Totentanz wird diesem immer die scheinbar nicht vergängliche Jugend als Gegensatz zugeordnet. Jeden kann es treffen und mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben.

Wobei Müller nicht das Moralische daran interessiert. Er nimmt die Motive aus seinem auf Festplatten gespeicherten Bildarchiv und entwickelt den Ausgangspunkt zum Bild weiter. Meistens eine Figur, in einer entsprechenden, im Moment für Müller interessanten Haltung. Er schafft sich so eine Lösung für die Shortstory. Ob das nun aus einem Hochhaus stürzende Menschen sind, die in der knappen verbleibenden Zeit bis zum Aufschlag theoretisch noch die Notrufnummer ins Handy tippen könnten, oder ein kleines Mädel, das mit den Köpfen von Genies als Bällen jongliert. Müller zieht das durch, ohne Rücksicht auf kleinliche Irritationen des Rezipienten, ob das denn jetzt noch ethisch korrekt sei. Die Katastrophen sind in der Welt und ob das nun private sind oder gesellschaftliche, zum Schluß steht hinter der schönen Fassade immer der Drang in die Vernichtung. Alles was besteht, ist wert, das es zugrunde geht, so Hegel. Das hatte sich auch der Kommunismus nicht so geträumt und die Hybris der Nazis noch weniger. Doch leider setzt sich das Treibmittel jeder Entwicklung immer wieder durch. Was bleibt ist die Erinnerung oder die Verewigung im Bild. Und dazu ist Kunst, im speziellen Malerei, immer noch das beste Mittel. So sehen wir in den Bildern Felix Müllers wohl eher Vanitassymbole als lustige erotische Unterhaltungsmuster. Man wird mit Begierden und deren Auflösung konfrontiert. Therapie ist da weder angeboten noch möglich. Was bleibt ist bei Strafe des Untergangs der Trieb des Sexus und der ist gesellschaftlich verankert, wie die Märchen der Gebrüder Grimm.

 

Peter Lang, Berlin, 2006

Peter Lang in FELIX MÜLLER,

Arbeiten 2002–2006, Berlin 2006

DARK SUN

 

Die Sonne ist unser Fixstern, um sie dreht sich alles. Sie schenkt Wärme und Licht und damit auch Leben. Sehen wir die Sonne für eine längere Zeit nicht, werden wir depressiv. In unseren Breitengraden können wir dieses Verhältnis jedes Jahr im Wechsel der Jahreszeiten erleben. Wie es sich anfühlen muss, wenn sich die Sommersonne verdunkelt, konnten die Menschen in Europa 1816, im berühmten »Jahr ohne Sommer« erleben. Ein Jahr zuvor war im fernen Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen und hatte so viel Staub und Schmutz in die Atmosphäre geschleudert, dass die Sonne ihren sommerlichen Dienst in Europa nicht verrichten konnte. Auf Depressionen folgten Missernten, die wiederum Hungersnöte hervorbrachten. Wie sich das Jahr ohne Sommer auf die Kunst ausgewirkt hat, bleibt in der Forschung bis heute umstritten. Doch hat die These ihren Reiz, dass die britische Autorin Mary Shelly ihren bis heute berühmten »Frankenstein« in der Finsternis des ausbleibenden Sommers von 1816 erfunden hat. Dies wäre aber nur eine weitere Episode aus der älteren Geschichte von Monstern und Unwesen, die seit je her im Dunkeln wohnen. 

 

Die »dunkle Sonne«, die der Ausstellung den Titel gegeben hat, ist aber nicht so etwas wie eine Sonnenfinsternis, bei der die Sonne zwar weiter scheint und sich nur ein anderer, nicht leuchtender Gegenstand vor sie schiebt, sondern die »Dark Sun« scheint nicht. Die strahlende Sonne ist hell, leuchtend, wärmt und ja, vor allem strahlt sie. Die dunkle Sonne kann das nicht, sie ist das Gegenteil: schwarz. Sie ist kalt und tief, die dunkle Sonne saugt, sie ist schwindelerregend tief, unendlich weit, der Abgrund, dessen Boden wir nicht sehen, der Sog der Tiefe, das schwarze Loch, das alles verschlingt.

Der Kurator Felix Müller hat erfreulicherweise sehr verschiedene Positionen zusammen gestellt, die keine motivischen Variationen über das Thema der schwarzen Sonne vereinen, sondern der Besucher tritt quasi in den Orbit der Dark Sun ein.

 

Es werden mit unterschiedlichen Mitteln von Malerei, Grafik und Collagen bis hin zu Skulpturen und Installationen sehr verschiedene Spielarten aus Distopia vorgestellt. Der Besucher der Ausstellung fällt wie der Held von »Interstellar« hinein in eine andere Welt und kann verschiedenste Umsetzungen, Konzepte und Gestaltungen finden. Malerische und zeichnerische Bildwelten von Poesie bis Komik, eine filmische Reise, Objekte – die aus einer Fiktion zu uns gekommen scheinen – und raumgreifende Inszenierungen mit Licht und Schatten, die den Besucher bedrängen, umfangen oder festhalten. Eine Fassette der Faszination an schwarzen Löchern besteht schließlich darin, dass nichts, was einmal in sie hineingefallen ist, jemals wieder aus ihnen heraus kann. 

Prof. Dr. Jörg Trempler, Berlin, 2018

Prof. Dr. Jörg Trempler in DARK SUN,

Katalog, Galerie Alte Schule, 2018

Bad Religion...

 

...ist eine kuratierte Ausstellung und ein Künstlerprojekt zugleich. Felix Müller hat sein unmittelbares Umfeld eingeladen – Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten er kennt und schätzt. Es ist ein lockerer Kreis von Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht nur als Einzelkämpfer im Kunstbetrieb behaupten wollen, sondern die auf der Grundlage von gegenseitiger Wertschätzung nach Gemeinschaft und Austausch suchen.

Die Zeichnung ist das zentrale Medium der Ausstellung. Bei vielen der präsentierten Arbeiten tritt dies unmittelbar deutlich vor Augen, bei manchen hingegen verbirgt sich die zeichnerische Ebene bisweilen. Die Ausstellung bietet ein breites Spektrum im Umgang mit dem Medium Zeichnung, das Verbindungen zu Malerei, Collage, Skulptur und Installation aufnimmt.Viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler sind Geschichtenerzähler. Ihr Blick macht sich an zufällig Aufgespürtem fest, kann aber ebenso sorgfältig Recherchiertes in den Fokus rücken. Neben dem Fabulierenden tritt auch das Repetitive in der Ausstellung auf: Einige der Teilnehmenden verfolgen einen seit langem eingeschlagenen Weg mit nahezu obsessiver Hartnäckigkeit und setzten immer wieder neu an. Im Gegensatz hierzu zeigt die Ausstellung aber auch Arbeiten, die in einer Zeit globaler Bedrohung durch ironische Kippmomente  Distanz und Leichtigkeit schaffen....

...Felix Müller bringt in seinen Arbeiten Zeichnung bzw. Malerei als hintereinander montierte Schichten zusammen. Eine Distanz zwischen Glas und Leinwand lässt hier Schatten entstehen – Unschärfen, die die extrem klar konturierten Figuren und Bildgegenstände konterkarieren. Anders als bei den bildlich so opulenten Arbeiten von Cornelia Renz sind Müllers Bilder allerdings sehr viel reduzierter. An Comics und Märchen orientiert, zeichnerisch knapp und oft fragmentarisch, deuten die Arbeiten auf rätselhafte Weise Geschichten an, ohne diese jemals auszuformulieren...

Dr. Claudia Beelitz, Berlin, 2017

Dr. Claudia Beelitz in BAD RELIGION,

Katalog, Galerie Alte Schule, 2017

Romantikschwerpunkt leichtfüßiges Reisen

 

Reisen: Künstler reisen, um den eigenen Bilderfundus, den Ideenpool, den Erfahrungsschatz zu begründen und zu erweitern. Um eine äußere Entsprechung für das innere Bedürfnis des Ausdrucks zu suchen und zu finden. Getrieben von Neugier, auf der stetigen Suche nach Spielzeug für die Künstlerseele. Im Idealfall finden sie unterwegs ihr persönliches Arkadien, einen Zufluchtsort für die eigene Ideenwelt. Das Unterwegssein, das Umherstreifen sucht seinen Niederschlag in einer pointierten Mischung aus Fülle und Leichtigkeit. 

 

Die Welt der Medien ist der große Gegenpol zur Reisetätigkeit. Durch sie reist nicht mehr der Suchende zu seinen Zielen, er sucht diese nur mehr und lässt sie zu sich reisen. Zeitungen kommen mit der Post in den heimischen Briefkasten, voller Geschichten, Berichte und Bilder. Und durch die Datenkabel dieser Welt strömen die Informationen und Eindrücke in unüberschaubarer Zahl auf den am Bildschirm suchenden herein. Das Reisen verliert an Beschwerlichkeit, leichtfüßig springt der Betrachter mit Fingerspitzengefühl von Welterlebnis zu Welterlebnis. Es ist ein inkohärentes Reisen, ein oberflächliches vielleicht, aber auch ein unbeschwertes: Ein kurzweiliges Spiel, eine Obsession manchmal, aus der Summe aller Bildbegegnungen das Eigene, das Relevante herauszufiltern. 

 

Felix Müller ist ein Reisender. Seine Biographie ist geprägt von den tatsächlichen Reisen und Arbeitsaufenthalten unter anderem in Südamerika, in London, in New York, in den Schweizer Alpen, in Nordafrika und in Island. Seine Leidenschaft gilt der Begegnung mit dem Kuriosen, dem Monströsen und gleichzeitig der anbetungswürdigen Schönheit. Von überallher hat er selbst Bilder mitgebracht, greift er selbst zur Kamera, entstehen harmonische, durchkomponierte Fotografien von märchenhafter Lichtstimmung und einem Sinn für den richtigen Moment und das richtige Detail. Felix Müller ist aber auch ein Reisender der zeitgenössischen Bilderflut. Was ihm begegnet und ihn berührt, wird gesammelt, und das Fotoalbum dieser disparaten, zufälligen, zielstrebigen, hartnäckigen oder beiläufigen Reisen ist ein Kaleidoskop des Schönen und des Monströsen. 

 

Auf diese Materialsammlung reagiert der Berliner Künstler, indem er seine Arbeitsweise der Leichtfüßigkeit der Fundreise entsprechen lässt. Die Bilder, die er sich auf seinen medialen Reisen angeeignet hat, erhalten durch ein trockenes Raster eine Ebenmäßigkeit, die die Kuriosität des Bildmotivs in die Fläche bettet. Und diese Fläche schickt Müller nun zu einem Treffen mit seiner Malerei, mit zweiten oder dritten Motiven, mit Farbstimmungen oder mit Linien seiner Handschrift. Das Arbeiten mit Ebenen und Layern, bereits in den Techniken der Malerei, der Installation und des Siebdrucks erforscht und aufgezeigt, findet zu einer noch befreiteren Form. Mit kluger Ironie und großem Gefühl schafft Felix Müller eine Partitur der erstaunlich weiten Welt von Karneval bis Waldarbeit, von Pornofilm bis Vogelzug – und erweckt eine in sich stimmige Bildwelt zu eigenständigem Leben. Er verehrt seit früher Jugend Karel Zeman, den legendären tschechischen Animationsfilm-Künstler, der mittels Filmcollagen die märchenhaftesten Szenarien aus Realem und Phantastischem entstehen lässt (vgl. Abb. 2).

 

Das Gesellschaftsspiel des Kunstbegriffs schiebt Müller für einen Augenblick beiseite, lässt den kurzlebigen Kosmos der Nachrichtenbilder einer scheinbar beliebigen, doch eigenen Ordnung folgen und behauptet Tiefsinniges ebenso wie Absurdes.  Das Raster, eine Referenz an die Pop Art ebenso wie an die zerlegten Tonwerte des Tageszeitungsdrucks und des Bildschirms, oszillieren zwischen Informationsbehauptung und Ornament.

 

Der Behauptung entgegen steht die Instabilität der Betrachtung: Liegt dort nicht noch ein anderes Bild zugrunde? Aus welchen Einzelbildern fügt sich die wahrgenommene Form zusammen? Was wird hier erzählt, und wo sind wir Zeugen eines Spiels? 

 

Wir sind im Übrigen überall Zeugen eines Spiels. Auch wenn die Motive eine erzählerische Basis mit einbringen, so war diese für die Auswahl und Anordnung der Bilder nicht ausschlaggebend, auch nicht für Motiv- und Farbkombinationen. Hier geht es Felix Müller um das reine Bilder-Machen, die Erschaffung einer sublimen Momentaufnahme von Idee, Farbe und Struktur. Seine Haltung bedient sich bei der Unbekümmertheit eines Sigmar Polke (vgl. Abb. 1) und dessen Kunstgriff, mittels eines Foto-Rasters ein beiläufiges Bild zu einer Spielwiese der Bezüge umzumünzen: Polke verweist mittels bewusst fehlerhaftem Raster auf die Medienfotos, lässt sein Bild gleichzeitig transparent schweben und zur reinen Struktur werden – Die »Freundinnen« beispielsweise sind ein Bild darüber, was ein Bild ist und nicht ist, und gleichzeitig einfach ein doppelter Akt. Müller treibt das Verweis- und Flächenspiel noch weiter und passiert dabei den freien Umgang Gerhard Richters mit jeglichem Bildmittel. Die Offenheit in Sachen Medien und Motiven findet für Müller einen Höhepunkt in Richters Rückzug auf die Farbflächen der Farbfächer, den Verzicht auf jeden malerischen Gestus und trotzdem des Erreichens des Endresultat: Malerei (vgl. Abb. 3). 

 

Müller nimmt also Zemansche Kuriositäten, Polkesche Gewitztheit und Richterschen Freigeist und macht sich mit diesem Gepäck auf eine weitere Reise: Eine epochale. Mögen sein Arbeitsort Greifswald, die Heimat Caspar-David-Friedrichs, mögen vielleicht das nahe gelegene Kloster Eldena oder die Ostseemotive von Rügen bis Boddenstrand mit den Jahren den Hauch verursacht haben, der nun durch seine Bilder weht: Ein Hauch Romantik. Nicht von ungefähr zieht sich auch das Motiv der stillen Wolkenlandschaften durch diese Werkgruppe. Eine weitergeführte Lust an Farbpanoramen und Lichtlandschaften. Eine Verbeugung des empfindsamen Künstlers vor der Urgewalt der Bildmöglichkeiten. Und wo Caspar David Friedrich seinen Mönch als Rückenfigur auftreten lässt, um die Anwesenheit des Betrachters bescheiden hinter das Spektakel dessen, was er wahrnimmt, zurücktreten zu lassen, so setzt Müller das Raster ein. Und lässt die Behauptung des jeweiligen Bildes zurücktreten vor dem reinen Eindruck der Farben und Formen (vgl. Abb. 4). 

 

Mit den Rastern hat eine vermeintliche Dunkelheit Einzug in das Werk Müllers gehalten. Doch dabei handelt es sich nicht um Schatten, sondern vielmehr um ein Zwielicht. In den Bildern von Felix Müller herrscht zur Zeit die Morgendämmerung – oder der letzte Abglanz des Tages. Wenn noch oder schon die Schatten lang sind, betrachten wir das Licht, das aufscheint, und auch das, was sich verabschiedet, mit besonderer Konzentration. Es ist besonders schön.

 

Julia Brodauf, Berlin 2014

Julia Brodauf in RASTER,

Katalog, artbux Verlag, 2014

Die ganze Welt durch‘s Schlüsselloch

 

Was ist nur los mit der Welt? Das ist die Frage, die aus der Bildersammlung Felix Müllers scheint. Da laufen erwachsene Männer in mitgenommenen Hasenkostümen herum, da hantieren blutjunge Mädchen mit großen Gewehren. Da ist die Kamera manches Mal viel zu nah dran an Haut, Haaren und Bein, und ein anderes Mal so weit weg, dass die Ursache des Rauchs nicht mehr zu erkennen ist.

 

Diese Frage der Verhältnismäßigkeit treibt Müller zeitlebens um, wie es der Berliner Schriftsteller Roland Stelter bereits 2005 beschrieb: »Sie bleibt für ihn untrennbar verbunden mit dem Bild der wohlproportionierten Platziertheit der vom Vater gesetzten Pflanzen. All seine später vorgenommenen Figurenarrangements zeugen von diesem naturbestimmten Harmoniegedanken der Proportion und der Furcht vor dessen Verlust, wie sie auch berichten von den mystischen Gestalten seiner Kinderwelt.«

 

Felix Müller sammelt Bilder, er liebt die Absurdität des Lebens, wo sie sich zeigt und begegnet ihr mit unendlicher Zärtlichkeit. Diese Zärtlichkeit hat viele Facetten, sie spricht aus der Detailverliebtheit, mit der in seinen Bildern die Ohren des Hasenkostüms eines kleinen Kindes gestaltet sind und verliert ihre Unschuld in der sichtbaren Freude, mit der ein praller Hintern ebenso vollkommen angelegt ist. Felix Müller hat ein umfangreiches Bildarchiv aufgebaut, das für sich steht. Es ist eine Medienauslese mit höchst persönlichem Blick, vergleichbar der intuitiven Sammeltätigkeit eines Hans Peter Feldmann etwa. Es ist eine private Phänomenologie der Wahrnehmung, ein Panoptikum absurder und poetischer Begegnungen. Eine große Gruppe dieser Bilder zählt flüchtige Eindrücke der Versprengten und Verqueren auf, zusammen gesehen ergibt dieses Bildpersonal einen merkwürdigen Kosmos aus Sex, Gewalt und Obsession – nicht umsonst verehrt Felix Müller den amerikanischen Zeichner Henri Darger (1892 – 1973), der an einer zeitlebens nicht enden könnenden, zwanghaft in ihm existierenden Geschichte arbeitete. 

 

Doch bei Müller bleiben diese Begebenheiten nicht ganz aus dieser Welt herausgelöst, er sieht und setzt stets Bezüge zur politischen Gegenwart und Geschichte und den Spuren ihrer Ereignisse, die ebenfalls zu Bildmaterial geworden sind. So gehören auch Aufnahmen eines privaten Autounfalls oder einer Guillotine zur Bildersammlung der Absonderlichkeiten. Sie sind auch das Testfeld, auf dem Müller seine Ideen entwickelt, auf dem Gedanken formuliert und wieder verworfen werden. 

 

Eine Art Thinktank, der Einblick in den Entstehungsprozess seiner Bilder gewährt, daneben jedoch auch Blätter hervorbringt, die für sich stehen, ohne direkte Entsprechung zu einem malerisch realisierten Werk. Sie dokumentiert, dass Müller wieder und wieder persönliches Neuland betritt, die Auseinandersetzung suchend, Grenzen überschreitend, Leidenschaften zulassend.

 

Diese Bildersammlung rastert Müller grob auf, was der Ästhetik ihres Fundortes entspricht: Ein grobes Punktraster steht für ein Zeitungsfoto. 

 

Durch die Gleichbehandlung bilden die Bilder ihre eigene Berichterstattung der Absurdität, bleiben gleichsam mit einer gewissen Kühle auf die Plätze verwiesen. Variabel untereinander kombiniert erzählen sie, genau wie die Mediengeschichte, die ewig gleiche Geschichte immer wieder neu. Felix Müller setzt bewusste Verweise auf düstere Kapitel deutscher Geschichte und setzt Schnitte in die Bildwelt, die er in der realen sieht: Das unterschwellig Bedrohliche, das existente wie das phantastische, das den vermeintlichen Frieden jederzeit durchbrechen kann. 

 

Die Bildersammlung bleibt trügerisch, was ihre Sujets anbelangt. Müller gibt ihnen Titel wie »Bismarck«, »Die heilige Mandy« oder »Kaaba Fit« und erweckt so den Eindruck, als ließen sich ihre Szenen dank der konkreten Figuren oder dem Bezug zur Geschichte entschlüsseln. 

 

Letztlich aber verweisen sie ähnlich wie das Mädchen mit dem hoch gereckten Arm in eine unbestimmte Zone, die der Künstler aus erinnerten und gefundenen Versatzstücken konstruiert. Für dieses Buch kombiniert Felix Müller die Bildersammlung mit seiner Malerei. Dadurch gewährt er ihr Zutritt zu seiner Bildwelt aus magischen Landschaften, tiefen Wäldern, zu seiner oft nebeligen Atmosphäre. Hier steht ein anderer Künstler Pate: Der wundervolle tschechische Regisseur Karel Zeman (1910 – 1989) schuf seinerzeit einen bestechenden Kosmos aus Märchenfiguren und realen Orten und setzte dafür eine opulente Kombination der verschiedensten Bildtechniken ein.

 

So begegnen sich auch im Bilderkosmos von Felix Müller die unterschiedlichsten Techniken der Malerei und Drucktechnik. Für die handelnden Figuren seiner Gemälde verwendet Felix Müller oft Siebdruck und des Foliencut, gerne auch in Kombination. Die Menschen und Tiere, die er für seine Gemälde auf Leinwand und Papier bestimmt hat, werden präzise angelegt, erhalten eine klar definierte Kontur. Als erfahrener Zeichner ringt Müller in präzisen grafischen Entscheidungen intensiv um die Form seiner Figuren und verdichtet so deren Charakterzüge zum Ikonenhaften. Sie stechen so mit großer Klarheit aus dem malerischen Kosmos hervor.

 

Der Berliner Kurator Peter Lang schrieb 2006 über diese Malerei: »Eine an Leichtigkeit grenzende Grundtendenz der Malerei durchzieht die Bilder. Das Arrangement der Bildfiguren, die fiktiven Geschichten die da erzählt werden, neigen dagegen zum Desaster. (…) «

Manchmal ist man an die Stimmungen der in Sepiatönen gehaltenen Zeichnungen Herkules Seghers erinnert. Die Lineatur der Figuren erinnert dagegen mehr an zeichnerische Reduktionen der Zeichensprache, wie sie bei Julian Opie auf die Spitze getrieben werden. Daneben sind Comics als ästhetische Erfahrungswelt bei vielen jungen ostdeutschen Malern frühe Grundlage ihrer Bilderfahrungen. Im Osten war das der Ausnahme-Comic »Das Mosaik« (1956 – 1976). Müller nennt als Einflüsse noch die außergewöhnlichen, teils skurrilen Bildgeschichten von Rodolphe Töpffer (1799 – 1846) und die Storys von »Little Nemo in Slumberland« von Winsor McCay (1871 – 1934).«

 

Nach wie vor spielen Müllers Szenerien gerne im Wald: Die freie Natur, der deutsche Wald als Ort der Romantik und des Grauens. Es ist stets seine bsicht, Traditionen zu kennen und pflegen und doch Erwartungen zu brechen. Er spielt mit einem reichen Repertoire an Bezügen und Geschichten. Seit Jahren weist ein Mädchen mit der linken Hand unbestimmt in die Ferne. In die Ferne, die aus der vielschichtigen Malerei entsteht, da öffnet sich ein farbiger Kosmos mit Wolken und Wasser, Hügeln und seltsamen Explosionen. Starre Linien treffen auf sensible Schraffuren, bewegte Flächen oder gewischte Stellen. 

Es ist das künstlerische Wunderland eines manischen Beobachters, eines versierten Malers und eines belustigten Zynikers, der an Märchen glaubt. Besonders an solche, in denen die bösen Feen am Ende noch den Notausgang gefunden haben.

 

Julia Brodauf, Berlin 2012

Julia Brodauf in PAINTBALL,

Katalog, artbux Verlag, 2013

BILDER, RÄUME & FASSADEN

 

»...in den Bildern bist Du gewandelt, geschmückt mit allem Kolorit, mit dunkelrot, violett, silber, türkis, schwarz, mit saphirblau, malachit- und smaragdgrün... Nun stürzt Du aus den Spiegeln, nun stürzt Du von den Bergen, nun stürzt Du zu Boden.«

 

Dieser Textausschnitt stammt aus der Videoinstallation „Götterbericht (2009)" - mit dröhnender Stimme wendet sich der Sprecher aus dem Monitor heraus an einen fallenden Hasen, der, fast unsichtbar, als weiße Plexiglasfigur gegenüber vor einer Wand schwebt. Der Hase, ein frecher, sinnlicher Geselle, war eben noch in den Bildern von Felix Müller zu Hause, nun ist er aus dem Rahmen gefallen und befindet sich kopfüber im freien Fall.

Der Berliner Künstler erlaubt seinem Bildpersonal immer wieder, die klassische Bildebene zu verlassen. Schon innerhalb seiner Malerei hält es die Figuren nicht immer auf der Leinwand: Die besondere Technik von Felix Müller beinhaltet, dass Teile seines Bildes als farbiger Foliencut auf Glas ein ganzes Stück vor der bemalten Leinwand schweben. Mit dieser Vorgehensweise wird der Bildraum erweitert, dürfen Licht, Schatten und Perspektive eine lebendige Rolle in den Bildern einnehmen.

Seine Bildsprache macht es möglich. Menschen, Tiere und Bäume werden in Müllers Bildwelt zu Figurinen reduziert und damit in einzelne Ebenen gebannt. Im nächsten Schritt werden die einzelnen Layer überlagert, ergänzen sich malerisch und inhaltlich, und stoßen sich doch, wie Magneten, immer wieder ab. Egal, ob die Ebenen als Siebdruck oder Zeichnung vor den malerischen Hintergrund gesetzt werden oder als Foliencut vor die Bildfläche, das Gesamtbild ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Layer.

 

Konsequenterweise erweitert Müller seinen Bildraum nicht nur bis zum Rahmen, sondern nutzt für seine Bilder auch Wände und Fußböden. Die Figuren und Bilder, einmal vom Bildformat befreit, wachsen bis zu überdimensionaler Größe heran und nehmen den Raum komplett in Besitz.

 

Es sind juvenile Dämonen, die Felix Müller durch seine gemalten Wälder scheucht - geisterhaft durchsichtige Mädchen, Kinderbuchfiguren, und auch die Gebrüder Grimm können nicht weit sein - allerdings wäre ihr böser Wolf ein zu gradliniger Geselle, Felix Müller denkt eher wie Carrolls Alice oder jemand in den verwunschen Märchen Hauffs. Die Handlungen der Protagonisten sind rätselhaft bis düster und verweisen auch auf vergangene und gegenwärtige Kapitel der Weltgeschichte. Die Bildtitel unterstreichen dies. Titel wie »Bunkerhase« oder »Hackordnung« benennen das abseitige, kriegerische Geschehen im Märchenwald.

Wenn stilisierte Stämme die Senkrechte betonen, tun sich emotionale Untiefen auf. Nicht nur, dass regelrecht schwarze Löcher gähnen, nein, hier fletschen schaurige Hasen die Zähne und schwingen leicht bekleidete junge Damen die Äxte - das ganze gehalten in gedeckten Tönen mit bonbonfarbenen Akzenten. Dies alles wächst und wuchert bis in den Raum hinein. Das, was erzählerisch ins Bild gesetzt wurde, kehrt daraus zurück und fordert seinen Platz in der dreidimensionalen Welt. Und schon ist der Betrachter mittendrin im Bildgeschehen.

 

Dort, wo das Geschehen konkret mit historischen Ereignissen zu tun hat, bedient sich Felix Müller der Typografie. Auch hier setzt er das Gemeinte aus einzelnen, erzählten Bildern zusammen und lässt das große Ganze aus der Überlagerung entstehen. Im Fall des Kunstprojekts »Leben an der Schönhauser Allee«, einem Gemeinschaftswerk mit Julia Brodauf, muss der Betrachter das gesamte Anwesen bis in den Keller hinein durchwandern, bis er alle Ebenen des Erzählten zusammenfügen kann. Gleichzeitig befindet er sich mittendrin im Gemeinten, in dem Gebäude nämlich, um das die Erzählung kreist.

Julia Brodauf, 2011

Julia Brodauf in RAUM!,

Katalog, artbux Verlag, 2011

Bilder von Wäldern und Bäumen - Kunst aus zwei Jahrhunderten

 

Der Maler Felix Müller entwickelt seine Schönheits-Option unter Berufung auf die populäre Bildsprache von Comics und nutzt deren groteske, oft paradoxe Zuspitzungsart für seine Bilder vom Wlald, die den Mythos herausfordern, auf geradezu rabiate Weise in ihn einzubrechen, sodass er nunmehr in quasi negativer Form durch das großspurig Unbekümmerte der Darstellungen hindurchschimmert. Müller, der in Berlin und Greifswald lebt, hat ein enges Verhältnis zum Rügener Wald. In einer Arbeit wie „Erntedank“ kehrt das Motiv der abgeschlagenen Stämme wieder, scheinbar losgelöst vom Krisenbezug, der sich umso stärker unterschwellig, als nicht passender Ton einer erotisch verbrämten Werbebotschaft mitteilt.

 

Dr. Katrin Arrieta, 2011

Dr. Katrin Arrieta in KUNDE VOM WALD

Kunst aus zwei Jahrhunderten, Ausstellungskatalog, 2011

21. 03.2011 –  Juli 2011 – Jagdschloss Granitz
01. 08.2011  – Oktober Marstall Schwerin

Träger des Projektes sind das Kultusministerium des Landes MV, die Landesforschungsanstalt, die Jost-Reinhard-Stifung, und der Museumsverband MV.
Leihgeber: Staatliche Museum Schwerin, Pommersche Landesmuseum, Kulturhistorisches Museum Rostock, Stiftung des Kunstmuseum Ahrenshoop. Förderkreis Ahrenshoop, Kunstmuseum Schwaan, private Leihgaben.

Was mir heilig ist ...



Bunte Quadrate, Ikonen der Gegenwart und der Zeitgenossenschaft. Im Werk von Felix Müller haben seine Siebdruck-Arbeiten eine zentrale Rolle eingenommen: Die kleine Form nimmt alle Spielarten seines Bildvokabulars auf. Die Mischtechniken im Format 30 x 30 cm sind weit mehr als eine unbeschwerte Probebühne für Arbeiten, die als Wandrelief oder große Leinwand zur Behauptung anschwellen. In der Intimität des kleinen Formats entwickelt Felix Müller eine eigene, aus seinen Erfahrungen, Hoffnungen, Leidenschaften und auch trockener Ironie gewachsene Poesie. Aus der Kombination der großzügig gemalten Hintergründe und der Farbvarianten des Druckes entstehen fein nuancierte Versionen der einzelnen Themen: Jedes Werk dieser Serien ist ein Unikat. 

Wald und Flur (2007), Neue Heimat (2008), Heilige (2009): Diese Bildserien werden bevölkert von einer Gesellschaft, die genauso vielschichtig ist, wie die künstlerische Technik, aus der Felix Müller sie wachsen lässt. In den Überblendungen  und Überlagerungen von Landschaften, Wolken, Horizonten, Häusern und Protagonisten liegt der unmittelbare Bezug verschlüsselt und verdichtet sich oft zu einer sehr persönlichen Geschichte. Die Märchen und der Krieg, die Tiere und die Menschen, die Historie und die Mode, der pralle Sex und der feine Witz, dies alles tritt in Müllers persönlichem Kosmos auf und vereint sich zu einer Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Zustands: Kommentiert wird durchaus provozierend, nicht zuletzt in den Bildtiteln. Doch in jedem Augenzwinkern wohnt auch die Zärtlichkeit.

Heiligkeit wird allerorten dann besonders wichtig, wenn die Welt nicht heil ist. Für Goethes fehdereichen Götz von Berlichingen ist die Ritterpflicht heilig, für seinen stürmischen Werther der Ruhepol, in dem die Seele aufatmet. Felix Müller kennt eben diese Zwiespältigkeit des erhabenen Gefühls: Den kriegerischen Treueschwur und die sanfte Verzückung, die sich im Heiligenbild vereinen. Auch in der Bildwelt des Künstlers begegnen sich oft die Gegensätze: Das Fernweh dem Flüchtling, der Höllenhund dem Doggystyle, der Desperado dem Versorger. Doch in der farbigen Landschaft aus Gouache und Acryl führen die Widersprüchlichkeiten des Lebens eine fröhliche Koexistenz. Und genauso verhält sich Müller zu seinen Heiligkeiten: Seine ehrliche Verehrung ist längst kein Grund für einen Kniefall. Vielmehr einer für eine Brechung des Pathos per Berlinischem Mutterwitz.

Die künstlerische Bestandsaufnahme der Dinge, die Müller heilig sind, setzt er durch eine genaue Formulierung um. Als erfahrener Zeichner ringt er in präzisen grafischen Entscheidungen intensiv um die Form seiner Figuren und verdichtet so deren Charakterzüge zum Ikonenhaften. Im Gegenzug zur fest umrissenen Statik der Figuren steht die Vergänglichkeit des Mediums: Das beschichtete Sieb ist bald wieder ausgewaschen. Auf dem Siebdrucktisch entspannt sich ein einsames Drama um das Gelingen des Bildes: Sieb und Fond begegnen sich in einem zerbrechlichen Moment, der über das Gelingen entscheidet. Die sorgsam erarbeiteten Figurinen sind höchst verletzlich. So ist das nun mal mit Dingen, die heilig sind.

 

Julia Brodauf, Berlin, 2009

Julia Brodauf in WAS MIR HEILIG IST,

Katalog, artbux Verlag, 2009

Schneeweiß und Rosenrot

Felix Müller widmet sich dem Schönen, dem ewig Unerreichbaren, der Unvergänglichkeit der ewigen Begierden. Enden tut alles in Verhängnis und Katastrophen. Grimmsche Märchen stehen nah am Rand. Der Fliegenpilz ist angefressen und hinter dem schönen Schein lauern die Würmer.

Die aalglatt gemalte und ausgeleuchtete schöne neue Jugend Norbert Biskys, Maik Wolfs am Rechner konstruierten Landschaften der kleinen Ängste fallen einem in Berlin ein, wenn man an eine außerhalb der Leipziger und Dresdener Schule sich positionierende Berliner Malerei denkt. Eine an Leichtigkeit grenzende Grundtendenz der Malerei durchzieht die Bilder. Das Arrangement der Bildfiguren, die fiktiven Geschichten die da erzählt werden, neigen dagegen zum Desaster. Gemeinsam ist allen eine Unterkühlung, die teilweise bis in den Eisschrank reicht. Auch bei Felix Müller stellt sich unterkühlte Distanz ein. Seine Hintergründe wirken allerdings wärmer, wie romantische Bühnenprospekte. Manchmal ist man an die Stimmungen der in Sepiatönen gehaltenen Zeichnungen Herkules Seghers erinnert. Die Lineatur der Figuren erinnert dagegen mehr an zeichnerische Reduktionen der Zeichensprache, wie sie bei Julian Opie auf die Spitze getrieben werden. Daneben sind Comics als ästhetische Erfahrungswelt bei vielen jungen ostdeutschen Malern frühe Grundlage ihrer Bilderfahrungen. Im Osten war das der Ausnahme-Comic „Das Mosaik“ (1956-1976). Müller nennt als Einflüsse noch die außergewöhnlichen, teils skurrilen Bildgeschichten von Rodolphe Töpffer (1799-1846) und die Storys von „Little Nemo in Slumberland“ von Winsor McCay (1871-1934). Beides eher anarchistische Gesellschaftskritiken als lustige Bildergeschichten. Die Autoren halten in fantastisch gezeichneten Bildwelten der Polis den Zerrspiegel vor.

Felix Müller arbeitet bei seinen aktuellen Werken strategisch mit technischen Hilfsmitteln. Durch den Einsatz von geplotteten Bildmotiven auf Acryl, die er vor den gemalten Hintergründen wie Schablonen montiert, geht dem Betrachter der gefühlte Zugang zur Malerei verloren, bzw. stellt sich zumindest die gewünschte Distanz zur Peinteure ein. Damit benutzt Müller ein Mittel der Werbeindustrie auf andere Art und Weise. Dort ist die glatte, kühle Oberfläche, Unvergänglichkeit verheißend, das gewünschte Ziel. Die zeitgenössischen Pinup Girls haben mit Hilfe der Möglichkeiten der Bildbearbeitungsprogramme der Computer alles Vergängliche in ihrer Oberflächenerscheinung verloren. Sie sind nahezu ununterscheidbar austauschbar. Man würde das Titelgirl der Hochglanz-Werbeträger, immer noch Magazine genannt, obwohl es doch nur Träger der Annoncen sind, nicht mehr am nächsten Tag an der Bushaltestelle erkennen.

Müller sinnt auf anderes. Er möchte dem Verliebtsein in die Bildmotive entgegenwirken. Man könnte sonst mit der Nase zwischen die Pohälften rutschen. Das wäre unschön. Daher sind die Acrylflächen zwischen den Betrachter und den Hintergrund geschaltet. Der Voyeur darf sich spiegeln, sich darin erkennen, er wird aber abgekühlt. Ein Kontrastprogramm zwischen Bildhintergrund und Figuration im Bildvordergrund zieht sich durch die Arbeiten. Der Betrachter könnte sich darin verlieren.

Das könnte man auch das Moderne an den Bildern Müllers nennen. Aufgrund seiner Erfahrungen und seiner Arbeiten für die Werbeindustrie, sieht er die Unterschiede und stellt sie heraus. Das Bild ist nicht mehr das schön gemalte Etwas, das verheißt, der Maler habe gerade noch ein allgemein attraktives Motiv gefunden. Es manierlich abgemalt und dann den Käufer mit seiner Peinteure, der des 19. Jahrhunderts, beglückt. Zu den Leipziger Malern sagte ein Kritiker, man hofft, daß endlich mal jemand das Licht anschaltet und den ganzen Muff der häuslichen Melancholie aus dem Raum bläst. Da sind die neuen Berliner Maler ein Stück weiter. Es zieht mehr in ihren Bildern als das es wärmelt.

Auch Müller setzt auf den Kontrast zwischen begehrenswertem Gegenstand und dem unsäglichen Gefühl, beim Handanlegen erwischt zu werden. So malt er ständig das unerreichbare der weiblichen Sexualität, das Verheißen des ewig lockenden Lolitamotivs und läßt die Männer in selbstdarstellerischer Attitüde gegen die Wand laufen. Das ewige Girlie bricht die Blume, mit Goethe könnte man sagen: pflückt das Heideröslein. Der beständig vor sich hin alternde Mann hat nichts weiter als das Reh zum Trost zur Hand. Sublimierung der Triebe könnte man sagen, wäre es nicht doch hintergründig schwarz und gemein. Die ständig vorhandene Sucht spiegelt sich auch in den die Bilder füllenden Pilzgärten. Die pflanzlichen Phallen bevölkern die Wälder, in denen sich das deplazierte Stadtgirlie verirrt hat. Fast könnte man sagen, Müller hat die Lolitas in den Wald hineingeworfen, sollen sie mal sehen, wie sie da zu Recht kommen. Sie kommen zurecht, da sie keine Hemmschwellen haben. Da wird skrupellos mit einem Hieb der alte Baum gefällt und das Hinterteil aufreizend dem Begehrenden dargeboten. Du bekommst mich nicht und wenn, zeige ich Dir den Weg zum Verhängnis. Hinter der nächsten Lichtung lauert der Tod. Wie in jedem Totentanz wird diesem immer die scheinbar nicht vergängliche Jugend als Gegensatz zugeordnet. Jeden kann es treffen und mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben.

Wobei Müller nicht das Moralische daran interessiert. Er nimmt die Motive aus seinem auf Festplatten gespeicherten Bildarchiv und entwickelt den Ausgangspunkt zum Bild weiter. Meistens eine Figur, in einer entsprechenden, im Moment für Müller interessanten Haltung. Er schafft sich so eine Lösung für die Shortstory. Ob das nun aus einem Hochhaus stürzende Menschen sind, die in der knappen verbleibenden Zeit bis zum Aufschlag theoretisch noch die Notrufnummer ins Handy tippen könnten, oder ein kleines Mädel, das mit den Köpfen von Genies als Bällen jongliert. Müller zieht das durch, ohne Rücksicht auf kleinliche Irritationen des Rezipienten, ob das denn jetzt noch ethisch korrekt sei. Die Katastrophen sind in der Welt und ob das nun private sind oder gesellschaftliche, zum Schluß steht hinter der schönen Fassade immer der Drang in die Vernichtung. Alles was besteht, ist wert, das es zugrunde geht, so Hegel. Das hatte sich auch der Kommunismus nicht so geträumt und die Hybris der Nazis noch weniger. Doch leider setzt sich das Treibmittel jeder Entwicklung immer wieder durch. Was bleibt ist die Erinnerung oder die Verewigung im Bild. Und dazu ist Kunst, im speziellen Malerei, immer noch das beste Mittel. So sehen wir in den Bildern Felix Müllers wohl eher Vanitassymbole als lustige erotische Unterhaltungsmuster. Man wird mit Begierden und deren Auflösung konfrontiert. Therapie ist da weder angeboten noch möglich. Was bleibt ist bei Strafe des Untergangs der Trieb des Sexus und der ist gesellschaftlich verankert, wie die Märchen der Gebrüder Grimm.

 

Peter Lang, Berlin, 2006

Peter Lang in FELIX MÜLLER,

Arbeiten 2002–2006, Berlin 2006

Ein Stil entsteht – Felix Müller

Spät in der Nacht, ein- zweimal pro Jahr vielleicht, streift Müller den Blaumann über. Er zieht feste Gummistiefel an, bewaffnet sich mit einer Grubenlampe und verschwindet in eine entlegene Stelle der Stadt. Im Dunkel bricht einen Gullideckel auf und steigt hinab in die Berliner Kanalisation – kaum anders als einst Orson Welles’ Harry Lime, kurz nach dem Krieg als Wien noch in Zonen aufgeteilt war, so wie das Berlin des Kalten Krieges bis vor gut ein und einem halben Jahrzehnt.

Felix Müller ist geboren in Ost-Berlin im Jahre 1969, als in der West-Hälfte der Stadt die Studenten-Revolte tobte und im Osten Deutschlands der Alt-Stalinist Walter Ulbricht noch sein Unwesen trieb. Anfang der 90er Jahre begann Müller ein Studium an der Kunsthochschule Weißensee. Zuvor, noch in der DDR, hatte er seinen Militärdienst mitsamt eines Gefängnisaufenthalts absolviert. Als die Mauer gefallen war, galt es für ihn nachzuholen, was nachzuholen war.  Er fuhr in die USA, nach Latein-Amerika, nach Afrika und Asien und schaute sich den Westen Europas an. Allein in London war er sieben Mal, im Frühjahr 1996 dank eines Künstlerstipendiums. Von dort auch brachte er sich viele der Spielzeugfiguren mit, die er in seinen Kunstwerken verwendete. In einer Münchener Mülltonne stieß er auf Titanic-Hefte. Ihn interessierte, worüber man im Westen früher lachte. Zusammen mit Malerfreunden gründete er eine Band, die man später »Die Sex-Touristen« nannte. Nur einer der Mitglieder beherrschte ein Instrument. Man liebte den Dilettantismus und war zugleich begeistert von der hohen Kunst. Godards und Greenaways Filme galten als Offenbarung und auch noch immer Tarkowskij.

 

Müller arbeitete wie besessen, zeichnete, malte, erstellte Miniaturinstallationen, fotografierte und filmte sie. An der Kunsthochschule jedoch erschien er so manchem traditionellen Professor deplaziert. Schwierigkeiten mit staatlichen Institutionen war er gewohnt. Zuhause hatte man die Opposition gepflegt. Man war befreundet mit Biermann und anderen subversiven Gestalten und unterhielt auch verbotene Kontakte mit dem Westen. Der Vater, ein Bühnenbildner und durch sein politisches Schicksal verhinderter Maler, hatte sich uneigennützig sogar einmal als Fluchthelfer bewährt, die Mutter hatte sich nach einer steilen Karriere als Vorzeige-Malerin des sozialistischen Realismus – ihre Arbeiten waren sogar in den Schulfibeln abgedruckt – gegen ihr eigenes Werk gewandt. Müller verwertete aus seinem Elternhaus, was er fand. Die vielen Illustrationen und Bücher waren sein Schatz.  Schon als kleiner Junge war er besessen von Geschichte. Mit seinen Legosteinen – denen aus dem Westen und den PB-Steinen aus dem Osten – baute er das Ischtartor und den Pergamon-Altar nach. Die Gräuel des Krieges bestaunte er schaudernd in den Zeichnungen von Goya. Grimms böse Märchen fand er von David Hockney illustriert. Er liebte die Mosaik-Comics mit den Diggedags und die aus dem Westen mit dem tragikomischen Donald Duck. Eine der größten Entdeckungen seiner Kindheit, erinnerte er sich einmal, war die Entdeckung der Proportionalität, damals, als er, noch ein kleiner Junge im zum Kunstwerk gestalteten Garten seiner Eltern auf dem Erdboden lag und die eigene Größe ins Verhältnis zu den Ameisen setzte und den im Verhältnis zu ihnen kolossal großen Pflanzen. Diese Frage der Verhältnismäßigkeit sollte ihn umtreiben. Sie blieb für ihn untrennbar verbunden mit dem Bild der wohlproportionierten Plaziertheit der vom Vater gesetzten Pflanzen und der damit geborenen Furcht vor dem hässlich Deplazierten. All seine später vorgenommenen Figurenarrangements zeugen von diesem naturbestimmten Harmoniegedanken der Proportion und der Furcht vor dessen Verlust, wie sie auch berichten von den mystischen Gestalten seiner Kinderwelt.

Goyas »Koloss«, der hinter dem Horizont hervorgewachsen ist, vor dem die Menschen flüchten, wenn er von ihnen abgewandt gegen eine unsichtbare Macht kämpft, wurde in Müllers Werk zum Mythos. Nicht als voluminöse Figur in pastoser Manier gemalt wie es ein Heisig getan hätte. In Müllers von den neuen Erfahrungen der Marketinggesellschaft geprägten Welt taucht der Koloss nun als grotesker Vogel auf und die Greuel des Krieges finden in kurios disproportionierten Arrangements von Gummisoldaten und Plastikpanzern statt (Koloss, 2004).

Immer wieder faszinierte ihn das Unheil und die Katastrophen, und wie viele begeisterte er sich zugleich für Warhols Factory und Lou Reeds Velvet Underground. Niemals jedoch hätte er eine Campbell Soup Dose als Kunstwerk ausgestellt. Trotz seiner vorgeprägten Begeisterung für Künstler der klassischen Moderne wie Picasso war ihm die den Kunstmarkt beherrschende Sucht nach Originalität, die den alten Akademismus des Kopierens auf eine paradoxe Weise ersetzt hatte, fremd. Näher waren ihm subtile Formen der Pop-Art. Cy Twombly war eine Zeit lang ganz nach seinem Geschmack. Hier konnte er, wie sich in seiner frühen Arbeit »Luftfahrt« von 1994 zeigt, die eher literarisch geprägte Zeichnung mit seinem Anspruch an die neue Welt verbinden. Bald auch wurden Künstler wie Paul McCarthy, die das grotesk Böse zelebrierten, für ihn wichtig. Auch an David Hockney erinnerte er sich wieder. Ihn begeisterte die bittere Komik von Gilbert & George und die reduziert plastische Darstellungsweise von Julian Opie.  Nicht zuletzt auch war er beeinflusst von der Mode der Trash-Art der frühen 90er. Anders als so manche dieser Künstler jedoch war er kein verspieltes, zu alt gewordenes Kind. Er hatte die Erfahrung der Diktatur hinter sich, und er hatte durch den Mauerfall die Chance und die Bürde, in einer Art zweiten Pubertät die Welt noch einmal zu erfahren. Deshalb schien ihm die Rückbesinnung auf die Kindheit, schienen ihm die Metaphern der Puppen und Spielzeugfigurinen adäquat. Noch heute sieht man ihn in seinen Kunstwerken zwischen überdimensionierten Pilzen schweben, auf eine erhabene Weise verwirrt, wie »Alice in Wonderland«. Ihm hat es Vergnügen bereitet, seine Moosmänner, Affen und Seeräuber-Jennys in einer Hausfassade zu installieren (»Unsecret Rooms« 2001). Er nahm viele Traditionen in seinen Arbeiten auf. Seine expressive und zugleich kollagenartige Malerei geriet dabei so abstrakt wie figurativ (»Moosmann«, 1998), (»Schwimmer«, »Taucher«, jeweils 1996). In der Zeichnung »Ren« von 1999 verwendete er erstmals auch die Schablonentechnik als bewusst störendes Element, die für sein Werk nach 2001 bestimmend werden sollte.  Immer sind seine Arbeiten dabei von der Suche nach Harmonie und Proportion geprägt. Es  scheint, als wollte er die Welt des Bösen, des Grotesken, Disproportionierten und Deplazierten, des Tragikomischen und des Banalen mittels der Schönheit der Komposition zum Guten verkehren. Es scheint, als wollte er eine eigentümliche Umkehrung vornehmen vom Abgründigen in die schöne Form, vom Bösen in das Komische und Groteske. Vielleicht auch deshalb spielt er bis heute gern mit dem Gedanken, ein Kriminalist für das Kapitalverbrechen zu sein – eine Faszination für das Gute kaum weniger als für das Böse. Und vielleicht – nach der täglichen Erfahrung der geschönten Marketingwelt, der Vergnügungen und kurzweiligen Kaffeehausaufenthalte, nach dem alltäglichen Mühen um eine Harmonisierung der Welt – sehnt er sich ab und an danach, diese Welt wiederum zu verkehren und so wie Harry Lime in der Zonenstadt bei Nacht in den Untergrund der Kloake zu steigen.

Roland Stelter, Berlin, 2006

Felix Müller bei Völcker&Freunde

Felix Müller, 1969 geboren, hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert. Er drehte Animationsfilme auf Super-8 und Video, malte und druckte und erschuf jahrelang Künstlerbücher in Siebdruck-Copy-Technik. Seine jüngsten Bilder fallen noch vielschichtiger aus als die früheren Serien. Zwar nutzt Felix Müller weiterhin Folienschnitte, die sich als figurative Umrisse über jedes seiner neuen Bilder legen. Ein Schwein zwischen Männerköpfen ist erkennbar oder ein Mädchen, das mit der linken Hand unbestimmt in die Ferne weist. Doch in den darunter liegenden Schichten seiner Bilder öffnet sich ein malerischer Kosmos mit Wolken und Wasser, Hügeln und seltsamen Explosionen. Starre Linien treffen auf sensible Schraffuren, bewegte Flächen oder gewischte Stellen.

 

Doch auch diese Collagen sind trügerisch, was ihre Sujets anbelangt. Müller gibt ihnen Titel wie »Hinweis«, »Auftrag« oder »Erkenntnis« und erweckt so den Eindruck, als ließen sich ihre Szenen dank der konkreten Figuren vor diffusen Landschaften entschlüsseln. Letztlich aber verweisen sie ähnlich wie das Mädchen mit dem hoch gereckten Arm in eine unbestimmte Zone, die der Künstler aus erinnerten Versatzstücken konstruiert.

 

Christiane Meixner, Berlin 2004

Felix Müller ist ein Künstler.

Er könnte einen Goldfisch im Mixer zerhäckseln. Er liebt den Satzspiegel. Er liebt die Fotografie, den Film und die klassische Komposition. Er liebt die Zeichnung, die handgefertigte wie die computergenerierte, den Holzschnitt, Tiefdruck, Linolschnitt und die Lithografie. Er liebt Seeräuber-Jenny. Er liebt die Figurinen und die Dekolletés, die bösen Blicke, ballongroße Tomaten, Pferdegebisse, Häschen und anderes Kindergetier. Er liebt die Sehnsucht nach Kythera - mit einem Plastikschiff und einem Gummi-Dinosaurier.

 

Felix Müller liebt und liebt all das nicht.

 

Er liebt Outline-Zeichnungen wie auch Storyboards. Er liebt den Mythos, der sich in der Leere eines Umrisses verbirgt. Er liebt die Werbung, das Banale. Er liebt das Geheimnis einer kindlichen Erwachsenenwelt. Und er liebt das Groteske einer erwachsenen Kinderwelt. Trivialität erschließt ihm eine höhere Welt.

 

Felix Müller begehrt die Farbe. Er scheut ihren Gestus, und er zelebriert ihre Flächigkeit. Er liebt die Musik und den Text. Er verehrt die künstlerischen Archetypen aller Formenwelt.

 

Felix Müller ist nicht »hip!«.

 

Er liebt und er erleidet die Absurdität der Gegenwart. Er plottet, schneidet, zeichnet, generiert, baut und komponiert aus einer Welt, die Zukunft will und sich dazu aus der Geschichte speist.

 

Roland Stelter, Berlin 2000

„Von Schönheit und Neid“

( - )

Aber im Grunde ist alles Illusion.

Ein Holodeck für phantasiearme Mitbürger.

Felix Müller läßt daran keinen Zweifel.

( - )

Wir sind anwesend.

Müllers Filme machen die Situation perfekt.

Nicht die Konservierung der wirklichen Erfahrung per Visum provoziert seine

Filmideen, sondern die Lust am Schmerz, wenn es ans Eingemachte geht.

Seine Animationen, die teilweise in flotter Zusammenarbeit mit Rainer Huhn ertüftelt

sind, umgeben sich mit einer tragikomischen Aura. Sowohl “Von Schönheit und Neid”,

als auch sein Beitrag “Battlefield” streifen existenzielle Grundhaltungen im Puppentrick.

Richard III. und Macbeth in den späten 90ern.

Wenn Ken mit seiner Barbie kleine Monsterbabies zeugt, die sich gegenseitig

schlachten, erinnert der Kampf um Gierlies Schönheit an die Schlammschlachten

der brillanten Regie von Kenneth Brannagh.

Die Zeiten haben sich eben nicht geänderrt.

Hinter softiger Schönheit steht erbarmungsloser Neid. Ein universelles Motiv zur

Grausamkeit.

Müllers Gleichnisse von dem, was die Welt auseinandertreibt, versetzen die großen

Gesten ins perverse Kleinformat einer Spielzeugwelt.

Die Echtheit der schauspielerischen Leistung überzeugt spätestens dann,

wenn die kleinen Füßchen durch fette Blutlachen stapfen und Ken seinen Koitus

vor versammelter Riege blonder Schönheiten bekommt.

So einfach, so gut.

Die Animationen von Felix Müller schaffen Distanz und damit die ironisch-fröhliche

Gewißheit zu dem, wonach wir alle streben - nach Einfluß und Macht.

 

Dr. Ute Tischler, Berlin, 2000

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